Reise nach Jerusalem – Warte auf die Karte

Der Vergleich zu den US-amerikanischen Metropolen im vorangegangenen Beitrag legt bereits nahe, einen kompletten Kulturschock erleidet man in Tel Aviv nicht zwangsläufig. In den Straßen riecht man zwar das orientalische Essen aber die Menschen sind angezogen wie in weiten Teilen Europas und sie fahren bevorzugt diese e-Scooter, um von A nach B zu kommen.

Insofern habe ich mich sehr auf Jerusalem gefreut. Gespannt war ich vor allem auf den religiösen Einfluss von Islam und natürlich dem Judentum, der dem Vernehmen nach deutlich größer sein musste als in Tel Aviv. Dorthin zu kommen schien wie eine sichere Nummer. Bus oder Zug. Eine Stunde Fahrzeit. Total entspannt. Doch dann eine weitere Schrecksekunde: Der Geldautomat schluckt meine Karte und behält sie mit den Worten „Sorry, your card has been captured“ erstmal für sich. Das Horrorszenario schlechthin. Noch nirgends auf der Welt ist mir das passiert. Aber nicht von ungefähr nennen mich manche Leute „Lucky“. Lucky war nämlich, dass sich dieser Geldautomat vor einer (geöffneten) Bankfiliale befand. Ich müsste lügen, wenn ich schätzen müsste, wie oft ich welche benutzt habe, die dieses Kriterium nicht erfüllt haben. Oft. Sehr sehr oft und da hat es immer geklappt mit dem Geldabheben. An diesem Tage nicht aber der Weg zum Schalter macht schnell klar: Problem bekannt, es wartet bereits jemand mit erheblich mehr Zeitdruck auf seine Kreditkarte und es sollten während ich gewartet habe noch zwei weitere Personen hinzukommen.

Eine Viertelstunde später konnte der gierige Automat von einer Mitarbeiterin geöffnet werden und es wurde eine Runde Kreditkarten ausgegeben. Neuer Versuch. In derselben Filiale wohlgemerkt aber bei einem anderen ATM, wie man sie im Englischen nennt. Geld kommt. Karte kommt auch. Weiter im Programm.

Jerusalem. Wir bleiben bei den Vergleichen. Weniger e-Scooter als in Tel Aviv. Viel weniger Strand als Tel Aviv. Auf beides lege ich keinen großen Wert. Also soweit in Ordnung. Wovon gibt es mehr? Mehr streng gläubige Menschen. Mehr schwer bewaffnete Menschen. Beide Personengruppen wirken aber überwiegend entspannt, bisweilen sogar richtig gut gelaunt. Nicht dass ich religiösen Menschen die Fähigkeit, gut gelaunt zu sein, abgesprochen hätte. Erstaunlich finde ich dieses Auftreten vor allem bei Sicherheitskräften. Insofern nehme ich das Treiben auf den Straßen Jerusalems ziemlich locker zur Kenntnis. Das sieht nicht jeder so, wie mir Gespräche mit anderen Reisenden verraten. Aber vielleicht bin ich einfach total abgebrüht und sorgloser als der Durchschnitt. Hinzu kommen weitere Religionen und Ethnien, die in Tel Aviv weniger zahlreich vertreten sind: Ein nicht unwesentlicher Teil von Jerusalems Bevölkerung ist muslimischen Glaubens. Außerdem gibt es unter anderem eine große armenische und ethiopische Community. Kurzum: diese Stadt ist unheimlich vielfältig und abwechslungsreich. Ich bin begeistert.

Den Gang zur Klagemauer habe ich bewusst am ersten Tag noch vermieden. Darauf wollte ich mich mental erst vorbereiten. Als ich dann am nächsten Tag bei sengender Hitze vor ihr stand, war meine Gefühlslage doch weit entfernt von Spiritualität und Ergriffenheit. Die Zahl von betenden Juden und mehr oder weniger andächtigen Touristen hielt sich in etwa die Waage. Die Atmosphäre wurde für meine Begriffe der immensen Bedeutung des Ortes nicht gerecht. Der Besuch hatte etwas Befremdliches.

Wir bleiben beim omnipräsenten Thema Religion. Denn besonders einer Sache kann man sich in Israel auch als Heide nicht entziehen: Sabbat. Ab Freitag Nachmittag steht das öffentliche Leben nahezu still. Inwieweit das meine weitere Reiseplanung beeinflusst, werdet ihr in den kommenden Tagen noch erfahren. Es gibt keinen öffentlichen Nah- oder Fernverkehr und die meisten Läden sind geschlossen. Es ist schon verschärfter als bei uns an einem Sonn- oder Feiertag aber auch das hatte ich mir dramatischer vorgestellt. Dadurch dass nicht jeder diesen Tag zu 100% ernst nimmt, sei es weil man einen anderen oder zumindest weniger strengen Glauben hat oder weil man auch an diesem Tag den Touries Dinge verkaufen will, ist nicht komplett tote Hose. Jedoch durfte ich ganz unverhofft hautnah miterleben, was Sabbat für einen streng gläubigen Juden bedeutet. Ich sitze also im jüdischen Viertel der Altstadt und werde plötzlich von einem Paar angesprochen, ob ich denn Jude sei. Mein Nein war tatsächlich die erhoffte Antwort für die beiden. Denn als in ihrer Wohnung die Sicherung rausgesprungen war, durften die beiden nicht einfach den Schalter wieder umlegen. Selbst dieser lächerlich harmlos anmutende Handgriff ist an Sabbat tabu. So stellte ich meine handwerklichen Fähigkeiten zur Verfügung und betätigte einige Schalter. Leider bekamen wir die Klimaanlage nicht wieder zum Laufen aber die zwei waren trotzdem sehr dankbar und ich war es auch. Denn authentischer hätte ich die hiesige (Glaubens-)Kultur durch keine Tour oder Führung erleben können.