Wrong Way Ticket

Die Zeiten für meine Flieger sind diesmal ganz bewusst gewählt. Manchmal muss man ja nehmen, was man kriegt aber wenn man es sich aussuchen kann, fliegt man zu einer Uhrzeit los, die einem bei Ankunft noch Raum für ein Minimum an Aktivität lässt. Soweit die zugrundeliegende Idee.

Um diese umzusetzen, stehe ich um kurz vor 4 auf. Keine coole Zeit aber den berüchtigten Sicherheitscheck bei der Einreise nach Israel musste ich einkalkulieren. Fakt ist: Da waren keine nennenswerten Sicherheitsmaßnahmen. Weder in München noch bei meinem Zwischenstopp in Istanbul. Die Flüge waren klasse. Filme schauen und auf beiden Flügen gab’s Essen. Aber dann: Ben Gurion Airport Tel Aviv und dort bildeten sich dann diverse Schlangen vor der Passkontrolle. Ich bin an der Reihe und werde vom verantwortlichen Mitarbeiter nicht mit absurden Fragen gelöchert. „Erstes Mal in Israel? Allein unterwegs? Wo bleiben Sie in Israel? Wie lang bleiben Sie?“. Das war’s auch schon. Drei Minuten vielleicht. Ich bekomme meine blaue Einreisekarte. Thema erledigt. Erleichterung aber tatsächlich auch ein klein wenig Enttäuschung über meine Befragung.

Rucksack läuft sofort auf dem Gepäckband auf mich zu. Perfekt. Geldautomat wirft mir die ersten Schekel raus. Optimal. Ticketschalter gleich daneben. Zugticket nach Tel Aviv gelöst. Läuft bei mir. Ich sitze im Zug. Es ist 16 Uhr. Inklusive Fußmarsch sollte ich noch vor 18 Uhr im Hostel sein. Klappt bis hierher zu gut um wahr zu sein? Vielleicht, aber manchmal hat man einfach Glück. Ist es verdächtig, dass die allermeisten Menschen in die andere Richtung fahren? Absolut.

Eine halbe Stunde und drei Haltestellen später sitze ich alleine in einem stehenden Zug. Ich bin genervt. Ein Herr vom Reinigungspersonal verstand zwar kein Wort Englisch aber „Tel Aviv“ kam an und mir wurde per Zeichensprache signalisiert: einfach sitzen bleiben. Der Zug dreht um und fährt dann dorthin. Nervös macht mich vor allem, dass ich laut Buchung um 20 Uhr eingecheckt sein musste. Der Zug steht und steht und steht. Gefühlt länger als die 20 Minuten, die es waren. 18 Uhr und wir sind wieder bei null. Haltestelle Airport. Tel Aviv ist aber nicht fern und nachdem ich mich bereits mit dem Gedanken „Taxi zum Hostel“ angefreundet habe (für mich eigentlich ein No-go), springe ich kurze Zeit später aus dem Zug, weiß genau, wo ich bin, weiß genau, wo ich hin muss und erkenne: „Das schaff ich… und zwar ohne Taxi“. Im Laufschritt Richtung Unterkunft und mit den Zeigern auf 19:15 halte ich meine Deadline ein. Erfolg auf ganzer Linie. Die Müdigkeit ist Freude gewichen und spätestens nach meiner ersten Portion Hummus mit Kichererbsen gleich nach dem Check-in bin ich zu 100% in Israel angekommen.

Wie meine beiden ersten kompletten Tage verlaufen sind, macht mich dann fast ein wenig stolz. Ich war viel geselliger als ich es sonst bin. Mich mit anderen Travellern auszutauschen, musste aber auch zwangsläufig sein. Schließlich habe ich noch keine Reiseroute erdacht und war auf Empfehlungen und Erfahrungen anderer angewiesen. Dass ich außer Jerusalem nichts fest eingeplant habe, macht es für mich über die Maßen entspannt. Ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas zu verpassen und muss in den knapp zwei Wochen nicht durch das ganz Land hetzen. Einen groben Plan habe ich nun und der läuft unter der Kategorie „weniger ist mehr“. Den südlichsten Zipfel Israels werde ich nicht ansteuern und in Jerusalem habe ich mich auch bereits auf einen Aufenthalt von 3 Nächten festgelegt, was für meine Verhältnisse viel ist.

Nun zu Tel Aviv: Ein Hammer diese Stadt! Tolle Strände, eine imposante Skyline und das fantastische Essen, mit den vielen orientalischen Einflüssen. Auch wenn ich in noch keiner der folgende Städte war: Eine ziemlich stimmige Mischung aus L.A., New York und Istanbul. Jetzt wo ich das so schreibe, muss ich schier hin, um diese Aussage zu prüfen. Aber das mache ich ein andermal.

R-E-S-P-E-C-T find out what it means to me

Das altbewährte Konzept bleibt bestehen. Lukas packt seinen Rucksack und fährt oder fliegt allein irgendwo hin. „Irgendwo“ ist diesmal Israel und den größten Unterschied zu den vorangegangenen Reisen sehe ich in meiner Einstellung gegenüber dem Land, das ich besuchen werde. Zu den üblichen Verdächtigen Neugier und Vorfreude gesellt sich – und ich kann mich nicht entsinnen, dass ich dieses Gefühl für ein anderes Land schon einmal derart empfunden hätte – Respekt. Respekt oder Demut oder wie immer man es nennen will. Es ist eine Gefühlslage, die mich glauben lässt, dass ich diesmal nicht gut genug vorbereitet bin, dass ich diesem Land auf irgendeine besondere Art entgegentreten müsse, dass die diesmal nicht „irgendwo“ hinfliege.

Aber warum denke ich das? Ist es die Region Naher Osten mit ihrer latent angespannten politischen Lage, die mich etwas verunsichert? Die Historie dieses Landes, von der ich meine, dass ich sie mir als deutscher Staatsbürger stets ins Bewusstsein rufen muss? Vermutlich sind es diese Gründe. Politik und Religion sind Dimensionen, die in den Ländern, die ich bisher bereist habe, nie eine vordergründige Rolle – wenn überhaupt eine Rolle – gespielt haben. In Israel spielen sie eine Rolle. Und klammern wir mal den Eurovision Song Contest, der eine Woche vor meiner Ankunft in Tel Aviv ausgerichtet wurde, aus, dann geht es in den Medien fast nur und ausschließlich um Politik und Religion, wenn von Israel die Rede ist. Insofern erhoffe ich mir, dass mein Wissen und mein Erfahrungsschatz in zwei Wochen weit darüber hinausgehen wird und ich mit Israel in Zukunft besondere Menschen, gutes Essen, schöne Orte und viele großartige Momente verbinden werde.